Oliver Scharfbier zur Ausstellung „Köpfe“ mit Anne Rose Bekker und Peter Adler, 2015 in der Galerie Süd in Magdeburg

Künstler vollenden selten etwas so wie sie sich es selbst vorgeben. Kunst wird immer ein Prozess sein, die Arbeit fordert Tribut, Anteil. Bei Anne Rose Bekker entstehen Sprünge in Collage, geklebt, gedacht, durchschnitten und verletzt. Gemalt ist bei ihr wie Pflaster, da ist Heilung, Heilsversprechen, viele Bilder sind Heilsarmee…

Die Gesichter ihrer jüngsten Bilder auf Leinwand zeigen unerwartete Tätowierungen, uns vertraute Linien, zumindst müssen sie vertraut erscheinen, zu viele Epigonen haben sich an diesen Linien eines Meisters abgearbeitet: Katsushika Hokusai (1760 – 1849) winkt seit zwei Jahrhunderten unserem Genie zu: meßt Euch! Und die Gesichter, die Köpfe? Sind aus der Zeitung oder einem Magazin, die Vorlage so klein, das Bild so groß, was soll da noch Vorlage sein, frag ich, das ist alles Freihand, vergeßt gewisse Ähnlichkeiten zu unbekannten Personen, bei Bekker sehe ich immer Selbstporträt, collagiert, geschnitten, vermalt. Sie versteckt gerne, pflastert zu, läßt dann wieder ein Grinsen stehen oder einen Blick gelten. Ich entdecke in ihren Tableaus, die mich formal an die hyroglyphen Arbeiten von Lee Krasner erinnern, Zitate aus Pop und Modewelten, zitierte Größen der Kunstgeschichte (hier Man Ray oder Marlene Dumas) zitierte Kleinere der Rest-Welt, Hunde, Gorillas, Totenköpfe, immer wieder Totenköpfe, das zieht sich ähnlich durch wie Sonnenbrillen, Frühstück bei Tiffany aber eher noch Abend-Tee bei Anni, denn so habe ich sie kennengelernt und viele hier Anwesende zum ersten Mal dort gesehen in ihrem Atelier in der Tessenowstraße. Wir waren Nachbarn, mit Pflanzen, Katzen, Hund und Papagei und Kunst. Auf einem Hof, das ging ganz gut.

Anne Rose Bekker ist in der Lage, zu überraschen. So ist es hinlänglich bekannt, daß sie auch Plastikerin ist. In dieser Ausstellung ist eine sehr kleine, aber nicht zu unterschätzende Arbeit zu sehen. Ein collagiertes Ready-Made, ein Porträt auf einem Straußen-Ei, das mich unwillkürlich an Mireille Mathieu denken läßt, den Spatz von Avignon, aber in seiner japanologischen Formensprache eine gelungene Antipode darstellt zur gegenüber hängenden Hokusai-Verneigung. Ihre Arbeit wird nie langweilig, weil die Künstlerin sich selbst nie langweilt. Ich denke, Sprunghaftigkeit kann auch eine Konstante sein (für diejenigen, die das nicht glauben und immer eine schnurgerade Vita sehen möchten). Der Lebensmittelpunkt muß tanzbar bleiben.

Als ich gefragt wurde, ob ich für die heutige Ausstellungseröffnung von Anne Rose Bekker und Peter Adler den Text übernehmen möchte, wußte ich, daß es schwer wird. Wir kennen uns nun schon etwas besser, da wollte ich keinen Mist schreiben und die Beiden kennen sich auch schon so lange und stellen immer schon und gern miteinander aus…ich bin mir aber nicht sicher, ob sich die Arbeiten von Bekker und Adler gern miteinander ausstellen. Das ist hier nicht die gleiche Sprache, die Arbeiten mögen über ähnliche oder gar die gleichen Dinge reden, aber das passiert nicht in derselben Form und nicht im selben Dialekt. Unter Bild oder Skulptur vestehen beide Künstler verschiedenes.

Der Pool der Kunst ist groß und türkisblau, da sind wir uns einig. Das Archiv der Erinnerung, das Gedächtnis der Künste jedoch ist immens und mannigfaltig. Vernetzt wie die Spitze im Antlitz der erotisierenden Schönheit, die uns dort mit forderndem Blick von Anne Rose Bekkers Porträt herab anschaut und verschlossen wie die bleiernde Rüstung der skulpuralen Plasiken von Peter Adler. Diese wurden herausgeschlagen aus dem Holz, um mit Blei verplastiziert zu werden – ein merkwürdiger Vorgang, so isoliert kann keiner sprechen. Oder ist das nun entstandene Dasein bereits Zitat.

Franz Kafka (der hier verbleite) schrieb und lebte in angeblich innerster Verzweiflung und isoliert. Oder schrieb er sich die Isolation womöglich selbst, als Künstler, der er war, manifestierte sein Selbstporträt daher auch so menschlich für die Unsterblichkeit: „Was ich geleistet habe, ist nur ein Erfolg des Alleinseins.“(Tagebücher, 1913)

Nahtoderlebnis, auch das gibt es bei Peter in der Vita, ein echter Draufgänger, kein Haudegen, aber ein Weltenbummler. Hierin liegt für mich etwas Rätselhaftes. Warum tun seine Figuren nichts Draufgängerisches? Skulptur kann ja durchaus pöbeln, springen, turnen, kämpfen. Entspricht es nicht ihrem Naturell, nicht dem Naturell des Künstlers? Dann ist vieles eins zu eins, Größe kann sehr schlicht, tief und freundlich sein. Es kann aber auch sein, das Peter Adler mit Figur nicht unbedingt Figur meint, also nicht aus dem Kontext der figürlichen Bildhauerei heraus arbeitet, sondern seine Figuren metaphysisch belebt sieht und sie auf dieser Ebene mit Menschheitsgeschichte verknüpft, mit dieser Energie auflädt.

Kunst ist nicht gezwungen, sich abarbeiten zu müssen am Kunstgeschehen der Vergangenheit. Kann sie, die Bekker macht es, muß sie aber nicht, der Adler macht es nicht. Das meine ich mit der unterschiedlichen Sprache, so verstehe ich das. Es hat etwas zutiefst Humanes, sogar sehr Aktuelles. Eklektizismus bedeutet, daß in vielen Sprachen durcheinander geredet wird und etwas Großes dabei entstehen kann – Gemeinsamkeit. Und als ich gestern bei meiner persönlichen Preview sah, daß in dieser Ausstellung ein vortreffliches Aufeinanderprallen zweier Sprachen gelingt, bilinguar über Menschlichkeit redend, machte mir das sofort Spaß, denn ich mag hohes Niveau.

Man sagt, nur wer seiner Zeit vorangeht ist Avantgarde, bleibt aber nicht unbedingt ewig Künstler. Was nicht weiter schlimm ist, denn das ist auch ´ne tolle Gesellschaft mit großem Schmutzanteil, die Boheme! Wer sich immer nur auf Stars bezieht, verliert den Blick fürs Ganze. Anne Rose Bekker vernetzt ihre künstlerische Arbeit mit dem aktuellen Tagesgeschehen und zieht alle heran, um sie auf ihrem Collagentisch zu sezieren, eine unorganisierte Masse von Loosern, ausgesprochen wertigen Verlierern allerdings, jederzeit ein gutes Porträt wert.

Die Welt verdankt vieles dem Vordenken von großen Verlierern. Wurde Ikarus mit seinem Ritt zur Sonne, fliegend, während andere noch zu Fuß gingen, der Urahn aller Avantgardisten, so hat auch Michael Jackson 1983 mit seinem Moonwalk die Sterblichkeit hinter sich gelassen. Und den Beweis erbracht, daß es möglich ist, vorwärts zu gehen wenn man sich rückwärts bewegt.

Nur zwei Beispiele, aber die haben Lautstärke, da haben Künstler Dimensionen gesprengt. Solcherart Rückschlüsse ziehen sich, von mir sehr frei interpretiert, in leisen Schwingungen durch die Werke beider Künstler. Im Atelier von Peter Adler, der seit vielen Jahren seine Künstlerkollegen porträtiert und diesen heute nicht von ungefähr die Konterfeis einiger seiner Lehrer und Meister der Kampfkunst an die Seite stellt, wird schon immer kosmopolitisch gedacht und philosophiert. Sehr schön, das gerade unter diesen sehr direkten und harten Porträts ein Sternengucker, ein Hans guck in die Luft unsere Blicke lenkt – schaut nicht auf mich, schaut nach innen.

In seinen jüngeren Skulpturen aus Holz, die, so filigran ihr Ausdruck auch scheint, mit gesalbter Kettensäge aus dem Block geschnitten werden, gewinnt der Adler konstant an Höhe – „Ich denke über die vierte Dimension nach und mache das im Jetzt“. Das ist doch mal ein Wort, denn es gibt letztendlich so viele Dimensionen wie ein Mensch denken kann, sofern er diese eine Zeitachse nicht überschreitet, das Jetzt. Denn dann würde er vielleicht in der Unendlichkeit ankommen oder stürzt als Avantgardist in die Unsterblichkeit.